Auf den Punkt gebracht: Zunächst einmal entscheiden nicht Sie, sondern Ihre Eltern. Sie sollten ihnen Vorschläge machen – und bei der Umsetzung vor allem Geduld und Verständnis mitbringen.

Von Anfang an: Älterwerden ist anstrengend – für die Betroffenen ebenso wie für deren Angehörige. Beim Sonntagsbesuch fällt Christiane Bader auf, dass ihre Mutter Agnes den Putzfimmel verloren hat. Staubfäden an der Decke und ein schmutziges WC, das hätte es früher nie bei der akkuraten Hausfrau gegeben. Christiane ist entsetzt und schimpft los.„Hier ist alles verdreckt. Du brauchst eine Putzfrau, aber schleunigst!“ Die 81-Jährige reagiert allergisch. Eine fremde Frau im Haus? Niemals. Die Tochter könne ihr ja helfen. Christiane Bader wird wütend. Sie hat einen anstrengenden Job und selbst eine Haushaltshilfe. „Dafür bist du dir wohl zu schade?“, fragt die Mutter provozierend. Die Tochter explodiert und rauscht Türen knallend ab. Als der Zorn verraucht ist, bleiben ein schlechtes Gewissen und die Sorge.

Was soll Christiane Bader tun? Die Zähne zusammenbeißen und die Wohnung putzen? Einfach eine Hilfe engagieren? Wegsehen und die Mutter ihrem Staub überlassen?

Mein Tipp: Durchatmen und in Ruhe das Gespräch suchen. Statt Vorwürfe zu machen, die Gründe erforschen, warum die Mutter nicht mehr gründlich putzt. Manchmal braucht man dafür auch mehrere Anläufe.

Christiane Bader lädt ihre Mutter ins Café ein, diese bittet sie, ihr die Getränkekarte vorzulesen. „Meine Brille ist wohl zu schwach“, gesteht die alte Dame. Und im Gespräch vertraut sie ihrer Tochter schließlich an, dass sie nicht mehr auf die Trittleiter steigen mag, weil sie zuletzt eine Stufe übersehen und sich wehgetan hat. Drei Wochen später: Mit der neuen Brille erkennt Agnes Bader selbst den Zustand ihrer Wohnung. Sie ist nach gründlichem Überlegen einverstanden, dass die Putzfrau ihrer Tochter ihr zunächst mal Hausarbeiten wie das Fenster- und Flurputzen abnimmt. Bald erkennt sie, dass fremde Hilfe gar nicht so unangenehm ist und freut sich, dass die nette Frau jede Woche für zwei Stunden zu ihr kommt.

Christiane Bader erzählt ihrem Kollegen von ihrem „Mutterdrama“. „Du hast es noch gut!“, entgegnet Werner Arndt. „Meinen Eltern kann ich nicht mal mehr mit vernünftigen Argumenten kommen“, berichtet er, „die sind trotzig wie die kleinen Kinder.“ Was ist geschehen? Der 87-jährige Vater hatte einen Schlaganfall. Beim Besuch in der Rehaklinik kündigte der Sohn an: „Wir machen eure Wohnung seniorengerecht! Ich räume die Teppiche weg und die Möbel um, damit Papa sich mit dem Rollator besser bewegen kann.“ Die Mutter lehnte alles rundherum ab: „Meine schönen Orientteppiche, die waren teuer!“ Den Hinweis auf Stolperfallen ignorierte sie. Auch das Argument, dass beide stürzen und sich etwas brechen könnte, wischte sie beiseite: „Uns passiert schon nichts.“

Werner Arndt weiß, wie eigensinnig seine Mutter ist. Er hatte darum bei der Wohnberatung in seiner Stadt einen Hausbesuch vereinbart. Frau Arndt begrüßte den Mitarbeiter freundlich. Er machte viele gute und einfach umzusetzende Vorschläge, die Wohnung sicherer zu machen. Die Mutter nickte zu allem. Als der Herr das Haus verlassen hatte, fragte Werner Arndt seine Mutter: „Siehst du, Mama? So kann eure Wohnung nicht bleiben.“ Die Seniorin guckte nur verächtlich und fauchte: „Ich will das nicht!“ Als die Mutter zur Dauerwelle beim Friseur war, nutzte Werner Arndt die Gunst der Stunde und setzte einige Tipps des Experten um. Er packte  die Teppiche auf den Dachboden, ließ Bodenvasen mit Kunstblumen verschwinden, im Bad brachte er Haltegriffe an, montierte einen höheren WC-Sitz und stellte einen Hocker in die Dusche. Der Vater schaute dem Treiben seines Sohnes schmunzelnd zu. Als die Dame des Hauses die „Bescherung“ sah, war sie zutiefst gekränkt und hatte kein Wort des Dankes übrig. „Das war vor zwei Wochen. Sie redet immer noch nur das Nötigste mit mir“, klagt Werner Arndt nun gegenüber seiner Kollegin Christiane Bader. „Dabei habe ich mir doch nur Sorgen gemacht.“

Ja, und genau das ist es, was das Miteinander der Generationen so schwierig macht. Das mache ich meinen Klientinnen und Klienten auch in Coachings immer wieder deutlich. Die Rollen drehen sich: Die „vernünftigen“ Kinder „wissen“, was „gut“ für die Eltern ist. Natürlich ist es schön, wenn eine bezahlte Hilfe die Wohnung sauber hält. Und noch schöner ist es, dass Frau Bader das auch irgendwann eingesehen hat. Vor allem für Frauen dieser Generation ist das schwer, ihnen wurde anerzogen, dass die gute Hausfrau ohne Murren alles selbst und perfekt zu erledigen hat. Sich von diesem Rollenbild auch nur ein Stück zu verabschieden, ist für sie ein mutiger Schritt.

Werner Arndt hingegen hat sich massive Sorgen um die Sicherheit seiner Eltern gemacht. Seine Idee, sich an die Wohnberatung zu wenden, war gut. Diese Beratungsstellen gibt es in fast jeder Gemeinde bzw. jedem Kreis. Das Angebot ist in der Regel kostenlos. Leider laufen erste Hausbesuche nicht selten so ab, wie bei den Arndts: Der Vater hat sich herausgehalten, in der Wohnung hat die Frau schließlich das Sagen. Die Mutter verschloss sich allen Argumenten und lehnte jede Veränderungen kategorisch ab. Werner Arndt hatte also nur die Wahl: Das Nein akzeptieren und bangen, dass keinem etwas passiert. Oder die Entscheidung zu treffen, sich über den Willen der Eltern hinwegzusetzen und gegebenenfalls deren Missbilligung auszuhalten.

Auch Werner Arndts Mutter hatte sich nach einigen Wochen beruhigt. „Es ist praktisch, dass ich die Teppiche nicht mehr saugen und verschieben muss, um darunter zu wischen“, gestand sie nebenbei. Den Vorstoß, ein seniorengerechtes Bad einbauen zu lassen, lehnte sie natürlich ab. „Du darfst für den Papa aber einen Haltegriff neben der Toilette anbringen“, billigte sie ihm zu.

Zwei Jahre später: Als der Vater nach einem weiteren Schlaganfall so pflegebedürftig ist, dass seine Frau ihn nicht mehr zu Hause umsorgen kann, will sie partout allein in der Wohnung bleiben. Nach einigen Monaten, in denen sie ihren Mann täglich im Seniorenheim besucht und sichtlich mitgenommen ist, überrascht sie den Sohn. Zum Heim gehört ein Haus mit barrierefreien Wohnungen. „Da ziehe ich ein, dann bin ich nah bei unserem Papa“, sagt die Mutter in ihrer gewohnt bestimmten Art und fordert: „Du musst mir beim Umzug helfen!“ Dieses Mal gehorcht der Sohn gern.

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