Älterwerden ist nichts für Feiglinge, sagt der Volksmund. Und das gilt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch die Angehörigen, die sich um ihre Lieben sorgen und dabei selbst ja auch nicht jünger werden. Darüber von ganzem Herzen zu stöhnen, ist menschlich, ändert aber nichts. Wer hingegen nach Lösungen sucht, bringt Bewegung in seine belastende Situation. Und das ist der erste Schritt.

Resilienz ist die Fähigkeit zur inneren Stärke. Kaum ein Mensch hat sie von Natur aus, aber das Gute ist: Wir können unsere Resilienz trainieren. Eine Säule ist die Lösungsorientierung. Doch nicht jedes Problem lässt sich lösen – erst recht nicht, wenn es um das Alt- und Gebrechlichwerden oder gar den nahenden Tod geht. Aber: Wir können unsere Sicht auf die Situation verändern und uns damit selbst von dem Problem lösen. Ein Beispiel aus der Praxis.
Gastronom Sven Schneider hat vor 20 Jahren den elterlichen Betrieb übernommen. Die Eltern, Meta und Otto, waren damals noch fit, haben ihren Nachfolger schalten und walten lassen, bei Bedarf aber auch unterstützt. Ihre große Wohnung über dem Restaurant haben sie dem Sohn und seiner Familie überlassen. Sie sind in einen kleinen, ebenerdigen Bungalow in der Nachbarschaft gezogen. Für beide stand von vornherein fest, dass sie damit eine optimale Umgebung für ihren Lebensabend geschaffen haben. „Ihr habt es gut“, hörte Sven Schneider in den folgenden Jahren oft von seinen Freunden und Bekannten: „Eure Eltern sind perfekt aufs Alter vorbereitet.“

15 Jahre lang hat der Sohn das auch so gesehen. Aber dann wurde der Vater schwer krank, seitdem baut er spürbar ab. Die Mutter kann trotz Knieoperationen kaum noch laufen, selbst wenige Schritte am Rollator sind eine Qual. Das Gedächtnis lässt bei beiden allmählich nach. Mit Mitte 80 ist das als durchaus normal anzusehen. Aber der Sohn hat eine andere Wahrnehmung. „Mit meinen Eltern wird es immer schlimmer. Es ist unverantwortlich, dass sie da allein in ihrem Bungalow hausen“, sagt der 59-Jährige in unserem Coachinggespräch.

Er hat meinen Rat gesucht, weil er sich gefangen fühlt in seinen Pflichten, Sorgen und der Verantwortung: für das Restaurant, die eigene Familie und die Eltern. „Ich warte, aber ich weiß selbst nicht, worauf“, gesteht er mir in einem Coachingtermin. „Ich habe Angst vor dem eigenen Alter, sehne mich aber nach der Rente. Manchmal denke ich, dass es einfacher wäre, wenn meine Eltern nicht mehr da wären. Aber ich fürchte mich sehr davor, dass sie sterben. Darum mache ich mir ja auch ständig Sorgen um sie“, erklärt er, wie es in ihm aussieht. Sven Schneider hat auch schon eine Lösung für sein Problem gefunden: Die Eltern sollen in ein Seniorenheim ziehen. „Dann muss ich mir um sie keine Gedanken mehr machen“, glaubt er.

Meta und Otto Schneider sehen das allerdings ganz anders. Diese ständige Sorge ihres Sohnes finden beide völlig übertrieben. Gewiss, manche Ideen, die er hatte und gegen die sie sich anfangs gesperrt hatten, erwiesen sich im Alltag als gut, zum Beispiel noch mal Geld in ein barrierefreies Badezimmer zu investieren. Oder auch, den Pflegegrad zu beantragen und nun Hilfe bei der Körperpflege und täglich beim An- und Ausziehen zu bekommen. Die Mutter macht mittlerweile sogar kleine Ausfahrten mit dem E-Mobil. Dabei wollte sie sich erst gar nicht hinter das Steuer setzen, schließlich hatte sie auch keinen Führerschein gemacht. Aber nun genießt sie diese Freiheit, bei schönem Wetter die 400 Meter zum Stadtteilpark fahren zu können und dort alte Bekannte zu treffen.

Sven Schneider hat dafür keinen Blick. Wenn er seine Eltern morgens und abends besucht, sieht er, dass die Mutter schief sitzend im Sessel schläft, der Vater sich bei jedem Schritt festhält und schnell das Gleichgewicht verliert. „Letztens ist er gefallen und hat zwei Stunden auf dem Boden gelegen, weil Mutti ihn nicht hochbekommen hat und ich ausnahmsweise nicht erreichbar war“, berichtet er. „Ich würde so gern mit meiner Frau für zwei Wochen verreisen, aber ich kann die Eltern doch gar nicht mehr so lange allein lassen.“ Wenn sie im Heim wären, ginge es ihm besser. Doch Vater und Mutter wollten nicht dahin, „wir geben nicht auch noch unser letztes bisschen Selbstständigkeit auf“, habe Otto Schneider energisch gesagt.

Sven Schneider weiß nicht weiter und hat sich darum an mich gewandt. Seine Hoffnung, dass ich die Eltern überzeugen kann, ins Heim zu gehen, kann ich nicht erfüllen. „Aber ich helfe Ihnen dabei, Klarheit zu gewinnen, wie Sie mit der Situation umgehen können“, biete ich ihm an. Ich möchte wissen, warum er eine Heimunterbringung als einzig mögliche Lösung sieht. „Da wären sie rund um die Uhr versorgt und nicht mehr allein“, antwortet er prompt. Ich bitte ihn, die Sicht seiner Eltern einzunehmen. Wie würde er sich fühlen, wenn die Eltern ihn, den erfolgreichen Gastronomen und Erwachsenen, wieder bevormunden und jeden seiner Schritte ängstlich verfolgen würden? „Ich wäre genervt“, gibt Schneider zu, „und zwar gewaltig.“ Und ich möchte wissen, ob er sich vorstellen kann, seine letzten Tage in einem Pflegeheim zu verbringen. „Wenn es sein muss, schon“, sagt er.

Aber muss es im Fall von Meta und Otto Schneider wirklich sein? Sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit das Paar tatsächlich sicherer in seinem Bungalow wohnen bleiben kann? „Ich weiß es nicht“, räumt der Sohn ein: „Ich war bisher nur auf das Pflegeheim fixiert, und habe mich über den Widerstand meiner Eltern geärgert.“ Aber Widerstand, so erkläre ich meinem Klienten, ist ebenfalls eine Form der Reaktion. Die Eltern machen damit deutlich, dass das Pflegeheim zumindest aktuell keine Option für sie ist.

Ich weise Sven Schneider auf die kostenlose Wohnberatung der Stadt hin. Die Fachleute schauen sich vor Ort die Begebenheiten an und geben Tipps für eine seniorengerechte Umgestaltung und Einrichtung. Mit einem Hausnotrufsystem könnten die Eltern zum Beispiel per Knopfdruck Hilfe anfordern, falls der Vater wieder stürzt oder ein anderer Notfall eintritt. „Ich sehe, es gibt noch viele andere Möglichkeiten, ihre Sicherheit zu Hause zu verbessern. Ich werde mich informieren und mit meinen Eltern sprechen“, sagt Sven Schneider.

Bei unserem nächsten Treffen schaut der Gastronom schon wieder etwas optimistischer in die Zukunft. „Dem Notrufknopf hat sogar mein Vater sofort zugestimmt“, teilt er mir mit. Damit würde er sich doch sicherer fühlen, habe Otto Schneider gesagt. „Und ich tue es erst recht“, ergänzt der Sohn. Auch mit der Wohnberatung sowie der Pflegeberatung seiner Stadt habe er Kontakt aufgenommen. „Die Dame erklärte mir, dass meine Eltern bei Bedarf ja auch mal die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen könnten. Das wäre eine Möglichkeit, damit meine Frau und ich verreisen können“, ergänzt er, „meine Eltern könnten eine Art Urlaub im Seniorenheim machen und das Leben dort kennenlernen. Wenn Sie wissen, dass sie wieder nach Hause kommen, stimmen Sie vielleicht zu.“
Immer wieder nur über ein Problem zu grübeln, das sich nicht ändern lässt, schafft Probleme. Die Lösungsorientierung ist kein Wundermittel, auch sie kann nicht mit einem Fingerschnipp alle Sorgen verfliegen lassen. Aber allein schon nach einer Alternative zu suchen, bedeutet, die Blockade, in der wir uns wegen unseres Problems befinden, zu überwinden. Den Stillstand aufzugeben, stimmt zuversichtlich. Und das ist Resilienz, die Fähigkeit zur inneren Stärke. Wir machen uns auf den Weg – auch wenn das Ziel nicht unbedingt das sein wird, welches wir uns ursprünglich vorgestellt haben. Aber das bedeutet nicht, dass es schlechter ist, sondern eben nur anders.

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