Die Pragmatiker unter uns sagen jetzt: einen möglich günstigen Entrümpler bestellen und das Haus über einen Makler höchst gewinnbringend verkaufen. Wer das kann und glücklich damit wird, sollte es tun. Aber für die meisten von uns ist es eben kein Kinderspiel, unser altes Zuhause auf- und auszuräumen.

Gerald Wagner (dieser und alle weiteren Namen geändert) wurde eine große Sorge genommen: Jahrelang musste er zuschauen, wie seine Mutter Anna immer schlechter alleine zurechtkam. Doch auszuziehen aus dem Haus, das sie mit ihrem vor vielen Jahren verstorbenen Mann gemeinsam gebaut hatte, in dem der einzige Sohn Gerald groß geworden war, in dem sie fast 60 Jahre gelebt hatte, war für sie keine Option. Und daran verändern wollte die Mutter auch nichts.
Ein Sturz beendete die langen, zermürbenden Diskussionen: Die Ärzte haben entschieden, dass Anna Wagner rundum betreut werden muss. Mit wenigen Kleinmöbeln, einigen Bildern und ein wenig Nippes staffierte der Sohn das neue Zimmer in Absprache mit der Mutter liebevoll aus. Die Garderobe, die sie behalten wollte, wurde ebenfalls ins Heim gebracht. Einige dicke Wintersachen hat Gerald mit zu sich genommen, da der Kleiderschrank im Heimzimmer nicht sehr groß ist. „Aber da sind noch fünf Zimmer, ein Keller und ein Dachboden voller Sachen, die auf mich warten“, sagt er. Nicht zu vergessen den Gartenschuppen. Er selbst will nicht zurück in das Elternhaus ziehen, er und seine Frau haben sich längst ein eigenes Heim geschaffen. Auch Geralds Tochter hat kein Interesse. Und noch reichen die Ersparnisse der Mutter zwar, aber in absehbarer Zeit wird das Haus verkauft oder vermietet werden müssen, um den Heimplatz zu finanzieren.
Geralds Freund gibt ihm die Nummer eines Spezialisten für Haushaltsauflösungen. Diese hätten die Wohnung des verstorbenen Vaters in einem Tag besenrein gemacht. Aber Anna Wagner lebt noch. Und mit dem Gedanken, dass fremde Leute die Sachen seiner Familie durchwühlen und  entsorgen, kann der Sohn sich nicht anfreunden. „Für mich ist es ja auch kein Müll, sondern das Zuhause meiner Kindheit und Jugend“, erklärt er. Also muss er selbst eintauchen in die Vergangenheit und entscheiden: Was behalten wir, was kann weg?
„Aber wohin damit? Anfangs stand mir das Ausräumen bevor wie ein Berg, den man nie bezwingen kann“, schreibt Autorin Ursula Ott in ihrem Buch „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“. Denn die einst geliebten Dinge – und sei es Omas nie genutztes gute Service – einfach wegzuwerfen, tut uns weh. Wenn sie woanders weiterleben können, ist das gut für uns und auch für die Umwelt. Stichwort: Nachhaltigkeit.
Wer regelmäßig auf Flohmärkten ist oder eBay nutzt, hat da einen klaren Vorteil. Wer lieber spenden möchte, gibt gut erhaltene Sachen an Umweltwerkstätten und Sozialkaufhäuser in der Nähe ab. Möbel, Kleidung, Haushaltwaren, Bücher – alles wird dort gegen kleines Geld weiterverkauft. Allerdings sollte jeder vor einer Spende mit kritischem Auge auf die Dinge schauen: Auch Bedürftige mit geringem Einkommen haben das Recht, wählerisch zu sein. Eine angestoßene Tasse, fadenscheinige Bettwäsche und das durchgesessene Sofa gehören auf den Müll.
Sicherlich ist auch das Verschenken innerhalb der Familie und des Bekanntenkreises eine Möglichkeit. Aber vorher sollte sich ein jeder die Frage stellen: Mache ich den Beschenkten mit meinem Angebot glücklich oder bringe ich ihn Verlegenheit? Wenn die Nachbarin die Keramikschalen aus der Toskana annimmt, weil sie immer Freude daran hatte, ist es gut. Wenn sie die freundlich gemeinte Gabe aus einem schlechten Gewissen heraus nicht ablehnen kann, ist es das nicht.
Gerald bittet seine Familie, ihm zu helfen. Gemeinsam mit Ehefrau, Tochter und Schwiegersohn verbringt er ein intensives Wochenende in seinem Elternhaus, um alles zu sichten und vorab zu sortieren. Der Goldschmuck der Mutter liegt schon seit Jahren in einem sicheren Schließfach der Bank. Ebenso die Sparbücher. Aktenordner und andere Unterlagen packt er in eine Kiste, um sie später zu Hause in Ruhe durchzusehen. An den Haushaltwaren und der Aussteuer hängen seine Gedanken nicht. Er ist froh, dass die beiden Frauen diesen Bereich übernehmen. Tatsächlich füllen sie die Mülltonne mit vielen Dingen, die abgenutzt sind. Der bescheidenen Oma genügten sie für den alltäglichen Gebrauch, aber jetzt dürfen diese Sachen ihre letzte Reise antreten.

Die Tochter wählt für sich die Likörschalen aus den 50er-Jahren aus. Bei Familienfesten wurden sie hervorgeholt für den selbstgemachten Eierlikör. „Du hattest mit vier Jahren den ersten Schwips, weil du heimlich die Reste aus den Gläsern getrunken hast“, erinnert sich die Mutter und lacht. Aber alle 18 Likörschalen braucht heute niemand mehr. Sechs wandern in die Kiste der Tochter, zwölf in die für eBay. So leeren sich die Schränke allmählich.
Gerald und sein Schwiegersohn durchforsten den Keller. Alte Farbeimer, Reste der 1980 angebrachten Tapete, uralte Skier – alles, was offensichtlich wegkann, packen die beiden in den eigens zu diesem Zweck gemieteten Bulli. Der junge Mann fährt es direkt zur städtischen Müllumladestation. So kommt Licht ins Sammelsurium von mehreren Jahrzehnten. „Mein Vater konnte nichts wegwerfen“, erklärt Gerald, „er war ein Kriegskind und hatte den Mangel erlebt.“ Nun muss sich der Sohn durch die all die Dinge wühlen, die der vor 20 Jahren verstorbene Vater meinte, irgendwann vielleicht noch mal brauchen zu können. Gerald ist gerührt, als er in einem Karton seine alte Eisenbahn findet. „Willst du die behalten?“, fragt der Schwiegersohn. Gerald schüttelt nach kurzem Überlegen den Kopf. „Ich habe sie all die Jahre nicht vermisst. Wenn ich sie jetzt in meinen Keller packe, musst du sie da irgendwann wegräumen. Willst du das?“ Der junge Mann lacht und wehrt ebenfalls ab: „Muss nicht sein, aber mach doch ein Foto von der Eisenbahn, dann hast Du eine kleine Erinnerung.”

Über Opas solides Werkzeug hingegen freut der Schwiegersohn sich sehr. „Mein Vater hat nur Qualität gekauft und die Sachen gepflegt“, weiß Gerald Wagner, „darum sind sie immer noch in Schuss.“ Es braucht noch ein weiteres Wochenende, bis Familie Wagner das Haus vom Dachboden bis zum Keller gesichtet hat. Nur einen kleinen Karton voller Erinnerungsstücke wollen Gerald und seine Frau tatsächlich behalten. „Die Dias schaue ich in Ruhe zu Hause durch und mache mir Abzüge, von den Bildern, die mir wichtig sind“, erklärt er: „Dann entsorge ich sie.“
Tochter und Schwiegersohn haben einiges ausgesucht, das sie noch weiterverkaufen möchten. Nun kann Gerald guten Gewissens die Schlüssel seines Elternhauses an einen professionellen Haushaltsauflöser weitergeben. „Es war anstrengend, aber auch mit vielen schönen Erinnerungen verbunden“, lautet das Resümee der Aufräumaktion. Gerald ist aber auch froh: „Ich hatte keine bösen Überraschungen oder habe gar Geheimnisse gelüftet. Da hört man ja aus anderen Familien die wildesten Geschichten.“
Und wenn so etwas passiert? Fortsetzung folgt: Die „Leichen im Keller“ sind Thema des nächsten Newsletters.

Auf dem Laufenden bleiben?

Jetzt den Newsletter abonnieren und kostenlos aktuelle Informationen direkt ins E-Mail-Postfach bekommen.


Danke! Das hat geklappt.