Diese drei Sätze fassen das Dilemma vieler pflegender Angehörige zusammen: In der Sorge um andere nehmen sie keine Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit, erst Dritte müssen sie dazu drängen, auf sich zu achten. Es gibt zwar Hilfen, wenn Pflegepersonen selbst erkranken – aber nur übergangsweise.

Heike Wagner kann nicht mehr. Seit zwei Jahren dreht sich ihr Alltag nur noch um ihre Mutter, die nach einem schweren Schlaganfall von heute auf morgen zum Pflegefall wurde. Die Tochter hatte ihr einst geschworen, sie niemals in ein Heim zu stecken. Schließlich war sie seit ihrer Scheidung alleinstehend, da wurde das doch von ihr als Einzelkind erwartet, meint sie. Aber welche Herausforderungen auf sie zukommen würden, das ahnte Heike Wagner nicht, als sie ihrer Mutter das Versprechen gegeben hatte.

Mittlerweile lebt Heike Wagner wieder in ihrem Elternhaus. Ihre eigene Wohnung hat sie aufgegeben, ebenso ihren Beruf. Die 62-Jährige ist frühzeitig in Rente gegangen, weil sie Arbeit und Pflege auf Dauer nicht vereinbaren konnte. „Du erbst schließlich das Haus und mein Vermögen“, hatte die Mutter sie zu dieser „vernünftigen“ Entscheidung gedrängt, „für dich ist gesorgt, wenn ich mal nicht mehr bin.“ Doch Heike Wagner bräuchte jetzt schon jemanden, der sich um sie sorgt.

Als sie mit der Mutter zur Kontrolle beim Hausarzt ist, schaut dieser die Tochter kritisch an. Sie ist außer Atem, der Schweiß steht ihr auf der Stirn, ihr Gesicht ist rot. Der Doktor misst den Puls und den Blutdruck, beides ist viel zu hoch. „Es ist halt schwül heute und Muttis Rollstuhl so schwer“, versucht sie sich herauszureden, „da bin ich ins Schwitzen gekommen.“ Aber der Arzt bestellt sie zum Check-up ein. Eine Woche später bekommt Heike Wagner die Ergebnisse, und die sind katastrophal.

„Sie können so nicht weitermachen, vor einem Burnout stehen Sie jetzt schon, und der Herzinfarkt ist auch nicht fern. Oder Sie bekommen einen Schlaganfall, wie Ihre Mutter“, warnt der Doktor. Am liebsten würde Heike Wagner einfach das Rezept mit den neuen Medikamenten nehmen und verschwinden, aber der Arzt lässt nicht locker: „Sie müssen etwas ändern. Wir beantragen jetzt erstmal eine Reha, und in der Kur überlegen Sie mit professioneller Hilfe, wie es weitergeht.“

Wenn Heike Wagner eine größere Familie hätte, wären mal die anderen an der Reihe. Aber sie hat keine engeren Verwandten. Und ihr einst großer Bekanntenkreis ist wegen des Pflegestresses auf zwei Freundinnen geschrumpft. Die beiden gehen netterweise mal eine Stunde mit der Mutter in den Park oder ins Café, damit Heike Wagner etwas erledigen kann. Die Freundinnen können und wollen aber nicht mehrere Wochen einspringen. „Wenden Sie sich an die Pflegekasse oder direkt an eine Kurberaterin“, hat der Hausarzt auch für diesen Fall einen guten Rat. Denn: In NRW gibt es KurberaterInnen, die bei der Antragstellung und bei der Organisation einer Vertretung helfen. (Einen Link finden Sie am Textende)

Bei der Kurberatung erfährt Heike Wagner, dass ihre Mutter, Anspruch auf vier Wochen Verhinderungspflege durch eine Ersatzpflegekraft hat. Voraussetzung ist das Vorliegen der Pflegegrade 2 bis 5. Die Ersatzpflege könnte in diesem Fall ein ambulanter Pflegedienst übernehmen – allerdings wäre die Mutter dann nicht rund um die Uhr betreut. „Das geht nicht“, stellt die Tochter fest, „meine Mutter kann nicht stundenlang allein bleiben.“ Auch eine osteuropäische Pflegerin könnte als Ersatzpflegeperson beauftragt werden und in der Zeit bei der Mutter wohnen. Allerdings ist in diesem Fall zu beachten, dass auch für diese Pflegekräfte der Arbeitsschutz gilt und sie Ansprüche auf geregelte Arbeits- und Freizeit haben (Artikel zum Thema).

Eine weitere Option ist die Kurzzeitpflege in einem Seniorenheim. Die Kosten der Kurzzeitpflege werden für maximal vier Wochen mit bis zu 1.774 Euro (Stand November 2022) übernommen. Was viele nicht wissen: Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege können auch nebeneinander innerhalb eines Kalenderjahres beansprucht werden und miteinander „verrechnet“ werden. Insgesamt steht Pflegebedürftigen also für acht Wochen im Jahr eine Ersatzpflege zu. Die Details sind in jedem Einzelfall mit der Pflegekasse zu klären.

Heike Wagner muss nun ein ernstes Gespräch mit ihrer Mutter führen. Die alte Dame sträubt sich erst gegen eine Kurzzeitpflege: „Du willst mich also doch abschieben“, zielt sie direkt auf das schlechte Gewissen der Tochter, „und dann lässt du mich im Heim versauern.“ Mein Rat in solchen Fällen: Wenn möglich eine dritte Person ins Boot holen, hier zum Beispiel den gemeinsamen Hausarzt. Er hat Heike Wagner die Kur verordnet und ist auch Vertrauensperson für die Mutter. Als der Doktor deutlich macht, wie unverzichtbar die Reha für die Gesundheit der Tochter und damit auch für die Mutter ist, sind die Wogen zumindest etwas geglättet. In der Kur kann die 62-Jährige nun Kraft schöpfen und erfahren, wie sie nachhaltig die Situation für sich und damit auch ihre Mutter zum Besseren verändern kann.

Denn Heike Wagners Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass pflegende Angehörige auf sich achten und sich nicht restlos aufgeben. Das gilt für die körperliche wie seelische Gesundheit gleichermaßen. Sich zum Beispiel in Gesprächsgruppen mit anderen Pflegenden auszutauschen, ist eine gute Möglichkeit. Dort sitzen alle in einem Boot, die Betroffenen verstehen sich, können die Gefühle nachvollziehen, sich gegenseitig Tipps geben. Aber auch das eigene Leben sollte ebenso gepflegt werden wie der oder die Angehörige. Wer privat ein funktionierendes Netzwerk hat, steht auch in Notsituationen nicht allein da.

Eine Kur oder einen Urlaub können pflegende Angehörige frühzeitig planen, so auch in Ruhe eine Ersatzpflege organisieren. Aber Notfälle kündigen sich nicht an. Ohne einen aufmerksamen Arzt wäre Heike Wagner vielleicht mit einem Herzinfarkt auf der Straße zusammengebrochen. Auch für solche Situationen lässt sich Vorkehr treffen, damit die Pflegebedürftigen nicht allein dastehen – etwa mit der Notfallcheckkarte.
Hier finden Sie Infos über Kuren für pflegende Angehörige.

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